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Der Halohimmel im jakutischen Frühling
März/April 2017

Seit ich vom Lande in die Stadt gezogen bin, sind meine persönlichen Beobachtungserfolge deutlich zurückgegangen. Der wesentliche Grund hierfür: ein Fensterblick in nur noch eine Himmelsrichtung und ein nicht unerheblicher Weg bis zur nächsten Stelle mit freier Sicht. Egal ob zu Hause oder auf der Arbeit – wenn ich beschäftigt bin, verlasse ich nicht bei jedem Verdacht das Haus, um auf der Straße nach einem geeigneten Beobachtungsplatz zu suchen. Nur am Nachmittag kann ich direkt vom Fenster nach Halos schauen.
Ganz anders sieht es aus, wenn ich auf Reisen bin – hier bin ich Beobachter rund um die Uhr und das über mehrere Wochen. Kein Wunder also, dass ich in meinen Urlauben deutlich mehr zu sehen bekomme, als im städtischen Alltag. Doch was ich innerhalb von sieben Wochen im März und April 2017 im Nordosten Sibiriens zu Gesicht bekam, übertraf all meine Erwartungen. Nahezu jeden Tag zeigten sich Halos am Himmel, das oft über mehrere Stunden, darunter auch immer wieder ein paar seltene Exemplare und zweimal gab es sogar ein glanzvolles Phänomen mit sieben bzw. zehn Haloarten gleichzeitig.
Wer jetzt denkt, dass im kalten Sibirien vor allem Eisnebel- oder Polarschneehalos die Aktivität prägten, der täuscht – es waren vorwiegend Cirrenhalos! In Mitteleuropa konnte man sich noch so gut auf die Lauer legen, Cirrenhalos blieben in den letzten Monaten eine echte Rarität. Da fragt man sich, wohin bloß hat sich der Halogott verdrückt? Ich meine zu behaupten, er hätte in Jakutien – im Nordosten Sibiriens – sein neues Paradies gefunden. Warum? Das kann ich nicht beantworten, aber berichten kann ich von ein paar interessanten Erscheinungen, die wohl niemand registriert hätte, wäre nicht einer mit dem Fahrrad aufgebrochen, um durch den Norden Jakutiens bis ans gefrorene Polarmeer zu fahren...
Über die Gründe dieser Unternehmung will ich an dieser Stelle nicht viele Worte verlieren. Reisen in die abgelegenen, kaum bekannten Gebiete Sibiriens begeistern mich schon seit langem. Und ich bin auch immer gerne auf eigene Faust unterwegs – in diesem Fall mit einem soliden Fahrrad und entsprechender Winterausrüstung, welche mir einen unabhängigen Aufenthalt in freier Natur, auch unter widrigen Umständen ermöglicht. Ich war also immer draußen, hatte stets Kontakt zum Himmel und dadurch, dass ich auch ständig unterwegs war, um meine vorgenommene Strecke zu schaffen, konnte ich jederzeit ohne Umschweife einen passenden Beobachtungsplatz ausfindig machen.

Smog-Halos in Jakutsk

Begonnen hat alles in Jakutsk – hier verbrachte ich ein paar Tage, um meine Tour gen Norden vorzubereiten. Schon am ersten Tag (1.3.), begrüßten mich unmittelbar nach der Landung die ersten Eisnebel- bzw. Polarschneehalos. Offenbar wegen der vielen Kondensationskerne in der leicht verschmutzten Luft, lag ein dunstiger smogartiger Schleier über der Hauptstadt Jakutiens. Aus diesem rieselten auch wiederholt feine Eiskristalle herab, die ich gerne als Eisflitter bezeichnete.
Da die Halos aber sehr weit weg erschienen, war ich mir anfangs gar nicht so sicher, ob nun tatsächlich der Eisflitter die Entstehungsursache war. Es hätten ebenso Cirrenhalos sein können, denn das Himmelsbild war nicht klar erkennbar. Doch auch am zweifelsfrei wolkenlosen Himmel zeigten sich in den Folgetagen bei -20 bis -30°C wiederholt ein paar schwache Erscheinungen: in erster Linie der 22°-Ring, teils mit Nebensonnen und Zirkumzenitalbogen (ZZB), teils mit oberem Berührungsbogen (OBB) – bei sonnigem Wetter waren sie hier ein alltägliches Erscheinungsbild, allerdings nur wenig auffällig.
Als ich schließlich nach vier Tagen die Stadt verließ, war der Eisflitter-Spuk bis auf weiteres vorbei. In der sauberen Landluft der dünn besiedelten Provinz zeigten sich fortan nur noch unter bestimmten Bedingungen echte Winterhalos.

Aufbruch ins Verchojansker Gebirge

Am 5.3. startete ich meine Radreise an der Kolyma-Trasse und folgte den nur im Winter existierenden Eisstraßen nach Batagai – zunächst über die Berge des Verchojansker Gebirges, dann auf gefrorenen Flüssen und Sümpfen in die Taiga der Jana-Senke. Hier befindet sich neben Oimjakon der zweite Kältepol der Nordhemisphäre, denn auch in Verchojansk verzeichnete man eine der tiefsten Temperaturen, die je an einem von Menschen bewohnten Ort gemessen wurde: -71°C im Februar 1892 (durch nachträgliche Homogenisierung der Datenreihe wurde der ursprüngliche Messwert von -68°C herunter korrigiert – das Gleiche tat man auch für Oimjakon). Auch wenn solche Extreme die Ausnahme bilden, kann es hier jedes Jahr im Januar und Februar Temperaturen um -60°C geben.
Jetzt im März war es aber zum Glück nicht mehr so unerbittlich kalt, zu Beginn meiner Tour sogar ungewöhnlich mild! +2°C wurden an den ersten beiden Tagen erreicht, nachts blieb es bei -10 bis -15°C. Durch ein nordwärts ziehendes Tiefdruckgebiet wurde milde Luft vom Ochotskischen Meer bis weit ins Landesinnere verfrachtet. Am zweiten Abend, als sich die bodennahe Luftschicht schon wieder etwas abkühlen konnte, zeigte sich über der zentraljakutischen Ebene eine auffällige Inversion: sie wirkte wie ein Spiegel und ließ die bereits untergegangene Sonne wieder für zehn Minuten aufgehen... In den Folgetagen stellten sich dann aber wieder die üblichen spätwinterlichen Temperaturen ein – mit -5 bis -15°C am Tage und -25 bis -35°C in der Nacht. Von Temperaturen unter -40°C, die um diese Zeit normalerweise noch auftreten können, blieb ich verschont.
Durch das trockene hochkontinentale Klima gab es auch ständig schönes Wetter. Wirklich jeden Tag schien die Sonne, selbst wenn es stürmte oder schneite – und das bis zum Ende der siebenwöchigen Reise. Doch es herrschte auch regelmäßig Bewegung in der Atmosphäre, denn immer wieder zogen abgeschwächte Fronten über das Land, die aber nur selten Niederschlag mit sich brachten. Die dominierende Bewölkung war stets eine hohe: Cirrus, Cirrostratus, Cirrocumulus. Klar, dass sich unter diesen Umständen immer wieder Halos ausbilden konnten.

Erstes Fast-Phänomen (7.3.)

Als ich an einem sonnigen Mittag über das Menkjule-Flusstal in das südliche Verchojansker Gebirge eintauchte, zog gerade eines der besagten Cirrusfelder durch. Dabei zeigte sich das erste Mal in hohem Gewölk mehr als nur der 22°-Ring – ja, fast ein Phänomen bildete sich aus: mit Nebensonnen, OBB und ZZB. Bald folgte noch eine fünfte Haloart: der Infralateralbogen, welcher sich als Fragment auf der rechten Seite zeigte. Allerdings trat er erst auf, als OBB und ZZB schon von einem kleinen Ac-Feld verdeckt waren. Es ist wohl anzunehmen, dass die verdeckten Erscheinungen auch zu diesem Zeitpunkt noch vorhanden waren, aber es zählt nun mal das, was der Beobachter tatsächlich sieht, daher war es nur ein „Fast-Phänomen“...

Trüber Tag mit Dauer-Halo (8.3.)

Tags darauf stellte sich trübes Wetter ein – offenbar ein Luftmassenwechsel, an dessen Grenze sich mittelhohe Schichtwolken ausbreiteten, die im Tagesverlauf zunehmend ausgrieselten. Doch sehr dicht war die Wolkenschicht nicht, denn sobald die Sonne höher stieg, war sie als milchiger Fleck am Himmel erkennbar und um sie herum ein klassischer 22°-Halo, der trotz Dauergriesel bis zum späten Nachmittag permanent sichtbar blieb und zwischendurch auch sehr auffällig war.
Das gleiche Spiel setzte sich dann am Abend bei hochsteigendem Mond fort. Jetzt war das stratiforme Gewölk schon so sehr ausgedünnt, dass sich der 22°-Ring kontrastvoll vom Nachthimmel abhob. Gegen Mitternacht schien der Himmel dann gänzlich wolkenlos, doch es grieselte weiter und auch der Halo war noch da. Sollte es sich etwa die ganze Zeit um einen Schneefallhalo gehandelt haben? Bis zu diesem Moment hatte ich angenommen, dass neben dem Alto- auch ein halohöffiger Cirrostratus den Himmel überzog. Letztlich blieb ich bei dieser Annahme – im Zweifelsfall für den Cirrus.

Eisnebel-Phänomen am Pass Oltschan (9.3.)

Nachdem sich das Frontengewölk ausgegrieselt hatte, schien am Folgetag wieder die Sonne von einem herrlich blauen Himmel. Lediglich ein paar – vermutlich mittelhohe – Wölkchen zogen noch über das Firmament, gefolgt von diffusen Schlieren, die wiederum recht nah erschienen. Diese bestanden aus feinen Eiskristallen, die nun unsichtbar zu Boden sanken, denn als sich die Schleier scheinbar aufgelöst hatten, erstrahlte im Bereich der Sonne urplötzlich ein kontrastvoller Horizontalkreis mit Nebensonnen, dazu eine diffuse Lichtsäule, ein schwacher OBB und der ZZB. Ganz am Anfang konnte ich auch kurz den 22°-Ring und einen schwachen Supralateralbogen wahrnehmen – damit waren einen Moment lang 7 Haloarten komplett. Aber auch ohne 22°-Ring und Supra hielt sich das Phänomen noch eine Stunde, ohne Hori sogar anderthalb.
Da etwa 10 min nach Einsetzen der Haloerscheinung feine Eiskristalle durch die Luft schwebten, klassifizierte ich das Ganze als Eisnebel-Phänomen, wobei der Ursprung der Eiskristalle vermutlich auf Fallstreifen zurückführt, die aber, weil sie quasi den Boden erreicht haben, auch als Polarschnee bezeichnet werden könnten. Mit einer klaren Einstufung des Entstehungsortes war es nicht immer einfach, zumal die gewohnten Kategorien im Winter oftmals von fließenden Übergängen geprägt sind (Cs-As, Ac-Sc, Wolke-Fallstreifen-Schneefall-Eisnebel).

Erste Polarschnee-Halos zum Greifen nahe (10.3.)

Nach einer -33°C kalten Nacht, die ich ohne Zelt im Freien verbrachte, lockte wieder strahlender Sonnenschein zu einem frühen Start in den Tag. Doch rasch zogen ein paar lockere Wolkenfelder auf – dem visuellen Eindruck nach mittelhohe Ac – denen schließlich ein feiner Eisflitter folgte. Ganz offensichtlich entsprang dieser den transparenten Wolkenfeldern, denn diese dünnten sich nach Einsetzen des Niederschlags allmählich aus. Als die Sonne wieder frei war und die Lärchentaiga um mich herum mit klarem Licht erfüllte, zeigten sich mit einem Mal helle Nebensonnen und ein kontrastvoller ZZB, wobei auch die unmittelbar vor mir fallenden Eiskristalle farbig aufblitzten. Unterhalb des Horizontes zeigten sich auf diese Weise auch die Untersonne und beide Unternebensonnen, die eine viertel Stunde lang vor sich hin glitzerten.
Wenig später zog ein weiteres Ac-Feld durch (möglicherweise auch Sc, die unter hochwinterlichen Bedingungen mitunter wie Ac erscheinen), doch diesmal kam es zu keinem Niederschlag mehr – die ausfallenden Kristalle verblieben allem Anschein nach in einer höheren Luftschicht und sorgten dort für ein wiederholtes Auftreten von Nebensonnen und ZZB – diesmal für fast anderthalb Stunden, auch als die Wolken schon wieder abgezogen waren. Es gab also ein ähnliches Erscheinungsbild, jedoch mit unterschiedlichem Entstehungsort: zuerst war es Polarschnee, dann höherer Eisnebel, der aus Fallstreifen hervorging.

Zweites Fast-Phänomen in Fallstreifen (10.3.)

Auch am frühen Nachmittag zeigten sich noch einmal Nebensonnen und ZZB für fast zweieinhalb Stunden, während eine dünne Ac-Schicht den Himmel überzog. Vorübergehend tauchten dabei auch der OBB und für einen Moment der 22°-Ring auf. Sogar der Ansatz eines schwachen Supralateralbogens zeigte sich kurzzeitig, jedoch nicht zeitgleich mit Ring und OBB. Als Entstehungsort habe ich hier unsichtbare Fallstreifen angenommen.
Weitere Fallstreifenhalos mit besonderer Ausprägung zeigten sich nochmals am Nachmittag des 12.3. – hier eindeutig in der tiefen Wolkenschicht: in zerfallendem Sc/St fra/neb/vir, wobei zweimal für etwa eine halbe Stunde 22°-Ring, Nebensonnen, OBB und ZZB auftraten.

Lowitzbögen ohne 22°-Ring (15.3.)

Nach einer eintägigen Halopause während der kältesten Phase der Tour (nachts bis -38°C), zogen am Nachmittag wieder ein paar halohöffige Cirren auf, in denen sich alsbald beide Nebensonnen ausbildeten. Der Anblick derselben war jedoch etwas ungewöhnlich, denn es gab beidseitig jeweils zur Sonne geneigte schiefe Ansätze, die die Nebensonnen vertikal verlängerten – Lowitzbögen! Vor allem der untere rechte erschien sehr deutlich. 15-25 min hielten diese sich, erst nach ihrem Verschwinden gesellte sich noch der 22°-Ring hinzu.
Auch bei dieser Beobachtung war ich mir des Entstehungsortes nicht hundert Prozent sicher, denn als die Haloerscheinung einsetzte, gab es sowohl einzelne dünne Cirren, als auch Ac mit sichtbaren Fallstreifen. Erst später nahmen die Cirren signifikant zu und die Ac-Reste verschwanden – das war, als der 22°-Ring hinzukam.

Eisnebel-Halos mit elliptischen Ring (17.3.)

Einer der wohl faszinierendsten Halotage ereignete sich, als ich auf dem höchsten Pass meiner Reiseroute (960 m) mein Frühstück zubereitete. Es war eine Situation, wie ich sie einmal auf dem Keilberg im tschechischen Erzgebirge erlebte: an der Obergrenze einer mit Feuchtigkeit erfüllten Inversion, wobei der aus Süden wehende Wind talaufwärts steigende Stratusfetzen aus dem Nebelmeer steigen ließ. Bei Überquerung des Passes zerfielen diese kontinuierlich und produzierten unsichtbare Schwärme aus feinen Eiskristallen, die mit wechselnder Dichtigkeit über meinen Lagerplatz schwebten.
Schon kurz nach dem Aufwachen gegen 7.30 Uhr bemerkte ich eine untere Lichtsäule, die sich nach einer Stunde durch eine obere erweiterte, während die untere vorübergehend bis ins Nebelmeer unter dem Horizont eintauchte und in diesem Bereich hell aufleuchtete. Derweil bekam ich Besuch von ein paar jakutischen Lastfahrern, die auf dem Pass eine kurze Pause einlegten. Dass sie noch einen Beitrag zum Halogeschehen leisten würden, war ihnen wohl genauso wenig bewusst, wie im ersten Moment auch mir, denn als sie gegen 9 Uhr ihre großen Trucks zur Weiterfahrt starteten, bildete sich im Bereich der ausgestoßenen Abgase plötzlich eine sichtbare Eisnebelschwade, die für ein zusätzliches, etwa zehnminütiges Aufglitzern beider Nebensonnen und der Untersonne führte.
Da der natürliche Eisnebel diese Erscheinungen nicht zustande bringen vermochte, war ich umso überraschter, als in einem später vorüberziehenden Eiskristallschwarm plötzlich ein elliptischer Ring aufglitzerte – zwar nur für eine Minute, aber so deutlich, dass ich seine Radien bestimmen konnte (siehe Skizze). Die Temperatur betrug zu diesem Zeitpunkt -17°C, die Sonnenhöhe schätzungsweise 15°. Elliptische Ringe sah ich bisher nur einmal: im Februar 2010 in drei aufeinander folgenden Nächten am Mond – bei meiner letzten großen Winterreise durch den europäisch-russischen Norden.

Kleines Cirren-Phänomen (19.3.)

Recht unspektakulär zeigten sich am Vormittag eine Reihe klassischer Haloerscheinungen, die ich gar nicht als Phänomen wahrgenommen habe. Erst beim Auswerten der Beobachtungen fiel mir auf, dass es vorübergehend 5 Haloarten zeitgleich zu sehen gab: beide Lichtsäulen, Nebensonnen, später auch OBB und ZZB, wobei sich noch ein unscheinbarer 22°-Ring einschlich, der durch die länglich erscheinenden Nebensonnen zunächst kaum auffiel. Aufgrund der Bewölkungsentwicklung besteht die Vermutung, dass die dünnen Ci-Schleier eventuell aus Ac vir hervorgegangen sind.

Großes Cirren-Phänomen (20.3.)

Der absolute Höhepunkt der siebenwöchigen Beobachtungskampagne ereignete sich zum astronomischen Frühlingsanfang. Kaum vorwärts gekommen bin ich, weil ich ständig an den Cirrenhimmel schauen musste... Begonnen hat alles gegen 10 Uhr, noch bevor ich mich aufs Rad schwang. Zunächst zeigten sich der 22°-Ring, die linke Nebensonne und der OBB, 10.40 kam der ZZB hinzu, 10.50 die rechte Nebensonne, 11.00 der Supralateralbogen, 11.05 dann noch die seitlichen Lowitzbögen und der obere konkave Parrybogen. Als alle Erscheinungen sich prächtig entfaltet hatten, tauchte von 11.20 bis 11.30 noch der Horizontalkreis in Sonnennähe auf und der 46°-Ring, welcher sich unterhalb des linken Supralateralbogens anschloss. Den Fotos nach gab es die ganze Zeit über auch eine schwache diffuse Lichtsäule.
10 Haloarten zeitgleich – sowas sieht man nicht alle Tage, zumal das Ganze in gewöhnlichem Cirrostratus entstand. Das Phänomen hätte auch noch durch einen linken Infralateralbogen ergänzt werden können, doch dieser zeigte sich erst gegen 12 Uhr, als die meisten der anderen Erscheinungen schon wieder verblasst waren – möglicherweise, weil die halofreudigen Kristalle an den Südhorizont weitergezogen waren und nur noch dort Außergewöhnliches vollbringen konnten.
Damit war die Himmelsschau aber noch längst nicht vorbei... Eine zweite Welle der Superkristalle folgte gegen 13 Uhr und so zeigte sich neben 22°-Ring, Nebensonnen, OBB und ZZB nochmals der Horizontalkreis in Sonnennähe sowie die Lowitzbögen und der Supralateralbogen – jetzt also 7 Haloarten. Das erste Phänomen dauerte 50 min, das zweite hielt 40 min. Erst im Laufe des Nachmittags verabschiedete sich dann eine Haloerscheinung nach der anderen und es folgten ab 15.30 Uhr mittelhohe Wolkenfelder (As/Ac), die sich jedoch nicht verdichteten, geschweige Schneefall brachten – sie lösten sich in der Folgenacht einfach wieder auf.

Lichtsäule in schwebenden Reifkristallen (23.3.)

Kurz vor Batagai, wo ich nach zwei Wochen in unbesiedelter Bergwildnis wieder durch ein paar Dörfer gekommen bin, wurde ich einmal Zeuge eines sonderbaren Reifhalos: einer unteren Lichtsäule, die sich am Morgen durch ein Aufglitzern ganz feiner, durch die Luft schwebender Reifkristalle bemerkbar machte. Über Nacht hatte sich an den Zweigen der Lärchentaiga Rauhreif abgesetzt, der nun im Lichte der hochsteigenden Sonne stückchenweise abbrach. Bis etwa 30° unterhalb der Sonne war das Glitzern der Lichtsäule zuzuordnen.

Erster Schneedeckenhalo (29.3.)

Es ist gut möglich, dass mir schon ein paar Halos auf der Schneedecke entgangen sind, denn vor allem abgelagerter Schneegriesel, wie es ihn schon einige Male gab, bringt fast immer Schneedeckenhalos zum Vorschein. In den ersten Wochen hatte ich aber oft Taiga oder unebene Sumpfflächen um mich herum – jetzt auf der gefrorenen Jana dominierten weite unbewachsene Ebenen, auf denen sich Schneedeckenhalos einfach besser erkennen ließen.
In der Regel waren das der untere Teil des 46°-Rings, bei tief stehender und noch ausreichend heller Sonne auch der 22°-Ring, welche sich durch farbiges Aufglitzern bemerkbar machten. Der ersten Sichtung folgten noch drei weitere im April (am 4./6./7.). Insgesamt schenkte ich dieser Haloerscheinung aber nur wenig Beachtung – sobald ich sie einmal registriert hatte, schaute ich nicht mehr danach...

Finale an der arktischen Küste

Mittlerweile war ich einen Monat unterwegs und hatte rund 1300 km mit dem Rad zurückgelegt – auf stetigem Nordkurs durch eine faszinierende abwechslungsreiche Winterlandschaft. Zuerst querte ich das Verchojansker Gebirge, dann tauchte ich in die Taiga der Jana-Senke ein, folgte dem gefrorenen Flusslauf über 400 km seiner Mündung entgegen und gelangte nun in die polare Tundra der russischen Arktis. Ich wollte noch unbedingt über den gefrorenen Arktischen Ozean fahren, also zweigte kurz vor Nizhnejansk nach Westen ab – mit dem Ziel Tiksi, einer kleinen Hafenstadt am Rande der Laptevsee. Etwa 500 km auf wenig frequentierten Eispisten lagen noch vor mir.
Das Halogeschehen hier oben brachte im beginnenden April zunächst keine weiteren Höhepunkte. Dafür hatten mich seit Ende März die Polarlichter voll in ihren Bann gezogen. Fast jede Nacht sorgten sie für ein Himmelsspektakel, wie ich es zuvor nur selten gesehen hatte. Es waren vor allem die rasanten Ausbrüche, die mit grellen, teils violett gefärbten Strahlentänzen immer wieder Bewegung in das sonst eher träge leuchtende Grün brachten. Da ich mich inzwischen weit nördlich des Polarkreises befand – etwa auf Nordkap-Niveau – breiteten sich die Nordlichter oftmals auf den Südhimmel aus. Derweil setzten schon die weißen Nächte ein, denn auch mitternachts wurde es nicht mehr richtig dunkel. Zum Ende der Tour, also Mitte April, blieb es schließlich so hell, dass ich selbst zur dunkelsten Stunde so gut wie keine Sterne und auch keine Aurora mehr erkennen konnte. Entsprechend länger wurden dann die Tage und mit ihnen die Zeit, in der weitere Halos auftreten konnten.

Erneutes Cirren-Phänomen (5.4.)

Als ich Chajyr passierte, das erste von nur zwei Dörfern entlang der verbleibenden Strecke, zogen ein paar dichtere Wolkenfelder durch, aus denen es um die Mittagszeit leicht grieselte. Kurz darauf kam aber schon wieder die Sonne zum Vorschein und im nachfolgendem Cs neb zeigten sich plötzlich ein schwacher 22°-Ring, die linke Nebensonne, der OBB, der ZZB und für 10 min auch ein schwacher Supralateralbogen – insgesamt also 5 Haloarten zur gleichen Zeit. Dass ich hier ein Phänomen vor mir hatte, realisierte ich mal wieder erst beim Auswerten – zu oft wiederholten sich die klassischen Erscheinungen, als dass ich bei ihrem Anblick noch etwas Besonderes vermutete...

14-Stunden-Halo im Dauer-Griesel (10.4.)

Besondere Aufmerksamkeit weckten bei mir vor allem jene Erscheinungen, bei denen die Entstehungsursache auf Anhieb nicht feststellbar war. So schaute ich schon am Abend des 9.4. interessiert der untergehenden Sonne nach, während sich im fernen Sc pra (wahrscheinlich Eisflitter) ein 22°-Ring und eine Lichtsäule zeigte, die offenbar Bodenkontakt hatten. Nachts überzog dann Cs den Himmel und sorgte phasenweise für einen 22°-Ring am Mond, wobei ab Mitternacht Schneegriesel einsetzte, der noch den ganzen Folgetag – 24 Stunden lang – anhalten sollte.
Schon bei Sonnenaufgang zierte wieder ein 22°-Ring das leicht verschleierte Himmelsbild. Trotz Dauer-Griesel zeigte sich der Himmel ungewöhnlich transparent, denn es waren stets die darüber liegenden Wolken erkennbar: Cirren – mal mehr, mal weniger. Deshalb ging ich davon aus, dass das hohe Gewölk den Halo hervorrief. Doch als der Haloring gegen Mittag seine hellste Ausprägung erreichte, erschien der Himmel auf einmal milchig-wolkenlos – allein der permanent fallende Griesel sorgte nun für die dunstige Durchsicht und offenbar auch für den Halo.
Eigentlich logisch, dass der Griesel der Haloverursacher sein musste, wechselte doch der Cirrus wiederholt seine Dichtigkeit, während der Halo in seiner Erscheinung konstant blieb. Ungewöhnlich nur, dass solch signifikanter Niederschlag aus einem sichtbar klaren Himmel fiel, und das über einen so langen Zeitraum. Dies führte immerhin dazu, dass ich die längste Halodauer in meiner Beobachtungsstatistik verzeichnen konnte: insgesamt 14 Stunden (>830 min) ohne Unterbrechung! Als zweite Haloart gesellte sich am Abend lediglich eine diffuse Lichtsäule hinzu.

Himmelskreuz über der Laptevsee (11.4.)

Nachdem es sich in der Nacht endgültig ausgegrieselt hatte, startete der Tag noch mit ein paar Wolkenfeldern, die sich in diversen Schichten hielten (Cs/Ac/Sc). Diese verzogen sich aber im Laufe des Vormittags und als ich gegen 9 Uhr aus dem Zelt schaute, erstrahlte am Himmel ein weißes Kreuz – eine kontrastvolle Kombination aus sonnennahem Horizontalkreis und kompletter Lichtsäule. Bei genauem Hinschauen bemerkte ich noch einen schwachen OBB und leicht angedeutete Verdickungen auf dem Horizontalkreis: farblose Nebensonnen.
Das Ganze blieb fast eine Stunde (oder auch länger) sichtbar, ehe sich die Erscheinung zusammen mit der noch vorhandenen dünnen Cirrusschicht verabschiedete. Sollte tatsächlich hohes Gewölk der Entstehungsort gewesen sein? Eigentlich ist eine solche Erscheinung typisch für Eisnebel, zumal es auf den Fotos auch danach aussieht, doch gab es diesmal in unmittelbarer Umgebung kein Aufglitzern schwebender Kristalle. Womöglich befanden sich welche weit oberhalb von mir – als unsichtbarer Eisnebel in einer höheren Luftschicht.
Ich vermute, dass vorangegangene Fallstreifen als Kristallquelle in Frage kommen, denn es zogen ja kurz vor der Erscheinung auch ein paar tiefere Wolken durch. Als dann am Abend die letzten der vereinzelten Ac bzw. Sc zerfielen, zeigten sich auch direkt in den Fallstreifen eine linke Nebensonne und eine helle Lichtsäule. Danach blieb der Himmel klar, wobei am kurz darauf aufgehenden Vollmond zunächst keine Halos auftraten. Erst später, gegen 22.30 Uhr, tauchten bei -28°C und Windstille ganz unvermittelt beide Nebenmonde und eine komplette Lichtsäule am klaren Himmel auf – wieder ohne erkennbar schwebende Eiskristalle, also in höheren Eisnebel, der möglicherweise ein Resultat der drei Stunden zuvor ausgefallenen Fallstreifenkristalle war.

Schlusswort

Nach diesem letzten Halo-Höhepunkt zeigten sich bis zur Ankunft in Tiksi nur noch zweimal ganz normale Cirrenhalos: 22°-Ring und OBB. Damit endete eine unfassbar vielseitige und ereignisreiche Halobeobachtung, deren Dokumentation mitunter sehr viel Zeit erforderte. Die zurückliegenden 7 Wochen hatten es jedenfalls in sich: während der 49 Beobachtungstage registrierte ich 39 Halotage, auf die sich rund 200 Einzelerscheinungen verteilen – das sind mehr, als ich im gesamten Jahr 2016 verzeichnen konnte! Beachtlich ist auch die akkumulierte Halodauer von über 6600 Minuten bzw. 110 Stunden – zusammengenommen also ganze viereinhalb Tage! Wer also mal richtig was beobachten will, dem empfehle ich wärmstens den Halohimmel im jakutischen Frühling...

Mondhalo Berührungsbogen Mondhalo Horizontalkreis Nebensonnen
Zirkumzenitalbogen Elliptischer Halo Elliptischer Halo Halophänomen Halophänomen
Halophänomen Lichtsäule Berührungsbogen Haloring Lichtsäule
Haloring Himmelskreuz Sonnenuntergang Lichtsäule Nebenmonde



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© 2008 by Richard Löwenherz